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Johannes Bachmann

in:
Deutsche SchülerAkademie, Dokumentation zur Akademie Gaesdonck 2002-5, hier: Kurs: Einführung in die Rechtswissenschaften, S. 50 ff (62-63)

im Netz unter:
http://www.jwilhelm.de
/dsa-2002-5-3.pdf

Folter - verboten oder doch erlaubt?

Folter ist nach der Definition der UN-Folterkonvention (Art. 1 Abs. 1) "jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden." Eine komplizierte Art, um ein schreckliches Machtmittel staatlicher Gewalt zu beschreiben. Kann solch eine Handlung, die elementare Grundrechte mit Füßen tritt und uns an dunkle Kapitel der Vergangenheit erinnert, erlaubt sein? Grundsätzlich nicht!

Nationale Regelungen

Zunächst findet sich ein Folterverbot im Polizeirecht, etwa für Baden-Württemberg in § 35 bwPolG (i.V.m. § 136a StPO), zudem im Strafprozeßrecht (§ 136a StPO), die eindeutig Zwang zur Herbeiführung von Aussagen und "spezielle" Vernehmungsmethoden untersagen.
Sodann verbietet das deutsche Grundgesetz Gewalt und Folter gegen Festgenommene. Neben Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG, in dem eindeutig festgelegt ist, dass "festgehaltene Personen weder seelisch noch körperlich misshandelt werden dürfen", gewährleistet Art. 1 Abs. 1 GG jedem Menschen die Unantastbarkeit seiner Würde und Art. 2 Abs. 2 GG sichert jedem die Unversehrtheit seines Körpers zu.

Internationales Recht

Aber auch auf internationaler Ebene existieren eine Reihe von Verboten. Neben Normen der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (s. Art. 3 EMRK), der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Art. 5 AEMR) sowie des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (Art. 7 IPBPR) bestehen mit dem Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und vor allem dem UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe besondere völkervertragliche Regelungen zum Verbot der Folter und der Überwachung der Staatenpraxis. Danach ist völkerrechtlich von einem absoluten, d.h. uneinschränkbaren und auch notstandsfesten Folterverbot auszugehen, das die Menschen vor staatlicher Willkür schützen, ihnen ein Gefühl von Rechtsstaatlichkeit vermitteln und ein gesichertes Leben ermöglichen soll.

Ein Lehrbuchfall

Kann gleichwohl ausnahmsweise Folter zulässig sein, der Staat sich in einer Situation befinden, in der er auf dieses anscheinend illegale Mittel zurückgreifen darf oder sogar muss? Dies soll an folgendem Fall diskutiert werden:

Die baden-württembergische Stadt S wird von einem Terroristen mit einer chemischen Bombe bedroht und erpresst. Bei der Geldübergabe wird der Erpresser gefasst und in Gewahrsam genommen. Der Erpresser schildert der Polizei glaubhaft, dass er vor der Übergabe den Zünder der Bombe aktiviert hat, die Bombe in drei Stunden explodieren und alle Bewohner der Stadt qualvoll und grausam töten wird. Der Erpresser gibt trotz Aufforderung und der Androhung aller zulässigen Zwangsmittel das Versteck der Bombe nicht preis. Er fordert eine hohe Geldsumme, die Freilassung rechtskräftig verurteilter politischer Kampfgenossen sowie ein Fluchtflugzeug mit Besatzung sowie namentlich genannte Politiker als Geiseln. Eine Evakuierung der Stadt S ist unmöglich, die Polizei sieht als einziges Mittel das "Herausholen" der Informationen, notfalls durch Gewalt. Darf sie das? (Fall von W. Brugger, Darf der Staat ausnahmsweise foltern, DER STAAT 1996, 67 [69]).

Im dargelegten Fall gebraucht der Erpresser eigentlich nur sein Aussageverweigerungsrecht nach § 27 Abs. 4 S. 2 bwPolG und § 136 Abs. 1 S. 2 StPO. Dieses darf grundsätzlich nicht durch hoheitliche Einwirkung - sprich: Folter - überwunden werden (s.o.). Aber wenn, wie im Fall des § 12 Abs. 2 des hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, eine strafprozessuale Verwendung der Aussage ausgeschlossen ist und er sich trotzdem weigert zu reden, ist dann körperlicher Zwang als "Aussagebeschaffungsmittel” zulässig? Auch polizeiliches Handeln in Notwehr bzw. zur Nothilfe (s. § 32 StGB) scheidet in diesem Zusammenhang aus - die Notwehrrechte begründen grundsätzlich keine Befugnisse für Hoheitsträger, was allerdings in der Literatur umstritten ist.
Aber auch zur Gestattung der Folter lassen sich Rechtsargumente finden. So ist der Polizei nach §§ 50 ff bwPolG "jede Einwirkung auf Personen oder Sachen durch einfache körperliche Gewalt oder Waffengebrauch" erlaubt, bis hin zum "finalen Rettungsschuss" in einer Situation, in der er "das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist" (§ 54 Abs. 2 bwPolG). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Bevölkerung läuft Gefahr, durch die Bombe einen qualvollen Tod zu sterben. Insofern könnte eine Gewaltanwendung, ein nach einem Größenschluss (argumentum a maiore ad minus) geringerer Eingriff im Vergleich zum finalen Rettungsschuss, erlaubt sein. Sonst würde hier der Täterschutz dem Opferschutz übergeordnet sein.

Auf verfassungsrechtlicher Ebene sichert Art. 1 Abs. 1 GG jedem Menschen die Achtung und Unantastbarkeit seiner individuellen Würde zu. Ein Schrankenvorbehalt ist in diesem Fall nicht vorgesehen. Das bedeutet, dieses Grundrecht darf nicht durch Gesetze eingeschränkt werden. Es handelt sich um eine notstandsfeste Norm, auf die andere Gesetze keinen wirklichen Einfluss haben können. Entsprechendes gilt für Art. 104 Abs. 1 GG. Diese Regelung geht als speziellere (lex specialis derogat legi generali) der des Art. 2 Abs. 2 GG vor (die zudem nur unter einem einfachen Schrankenvorbehalt steht). Wenn auch dies alles gegen eine Relativierung des Folterverbots spricht, so ist doch zu bedenken, dass der E mit der Bombe in die Persönlichkeitsrechte der Bevölkerung, deren Würde, körperliche Unversehrtheit und Leben eingreift. Es kommt somit zu einer Kollision zwischen den Rechten der Bevölkerung und jenen des Erpressers. Dabei ist zu beachten, dass den Staat eine sog. Schutzpflicht (arg. Artt. 2 Abs. 2 S. 2; 1 Abs. 1 GG) trifft. Er hat nicht nur die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die rechtlich geschützten Interessen seiner Bevölkerung gewahrt bleiben, sondern er hat sogar eine Pflicht, diese grundrechtlich verbrieften Rechte zu schützen. Führt man nun eine Güterabwägung durch, so ist dabei zu bedenken, dass der Erpresser eine Aussagemöglichkeit hätte, um in die Legalität zurück zu gelangen und diese nicht nutzt. während die Bevölkerung sich der drohenden Gefahr nicht entziehen kann. Demnach sollte der Schutz der Bevölkerung die Rechte des Erpressers überwiegen. Dieses Ergebnis erscheint auch in vorliegender Ausnahmesituation verhältnismäßig.

Auf internationaler Ebene ergibt sich eine ähnliche Wertungskollision. Dem absoluten Folterverbot des Art. 3 EMRK steht in diesem Beispiel inhaltlich Art. 2 EMRK entgegen. Letzterer verankert in Abs. 1 "das Recht auf Leben", das nach Abs. 2 eine (sogar todbringende) Gewaltanwendung zulässt, soweit sie "unbedingt erforderlich ist, um ... jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen". Damit stellt sich dasselbe Abwägungsproblem wie im nationalen Recht.
Das hier gefundene Ergebnis ist allerdings nicht unproblematisch, könnte es doch einen Rückfall in staatliche Barbarei ermöglichen. Die "erlaubte" Folter ist daher nur ausnahmsweise und nur im Einzelfall begründbar, nämlich wenn der moderne Rechtsstaat sich selbst so ausmanövriert hat, dass er durch seine eigenen Regeln erpressbar und geschwächt wird und dabei seine Pflicht, seinen Bürgern Schutz zu bieten, zu kurz käme.

Literatur: W. Brugger, Darf der Staat ausnahmsweise foltern, DER STAAT 1996, S. 67 ff; s.a. ders., "Würde gegen Würde", VwBlBW 1995, S. 414 f, 446 ff.



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